Da sitzt ein hilfloser, junger Vogel – was tun?
Jedes Jahr im Frühjahr und bis in den Sommer hinein bringen tierliebe Menschen in bester Absicht „aus dem Nest gefallene“ Jungvögel zu uns ins Tierheim. Doch oft trügt der erste Eindruck, und der Vogel braucht gar keine Hilfe durch den Menschen. Jungvögel verlassen nämlich das Nest oft schon zu einem Zeitpunkt, wo sie noch nicht gut fliegen können. Sie hüpfen dann über Wiesen oder durch Büsche und stoßen herzzerreißende Rufe aus. Doch diese Rufe sind keine Hilferufe, sondern die jungen Vögel machen ihre Eltern, die sich meistens in der Nähe aufhalten, auf sich aufmerksam und betteln darum, von ihnen gefüttert zu werden. Diese Vögel nennt man „Ästlinge“.
Wenn Sie also einen sichtlich jungen, aber voll befiederten Vogel sehen, der „zu Fuß“ unterwegs ist, etwas unbeholfen wirkt und immer wieder Rufe ausstößt, beobachten Sie die Situation bitte gut eine Stunde lang. Sie sollten dabei soviel Abstand halten und sich möglichst verstecken, dass die Elternvögel nicht durch Ihre Anwesenheit abgeschreckt werden. „Verloren gegangene“ Jungvögel werden bis zu 24 Stunden lang von ihren Eltern gesucht. Die Eltern erkennen ihr Küken an seinen Rufen. Innerhalb ungefähr einer Stunde sollte ein Elternvogel kommen und den Kleinen mit Futter versorgen.
Ist dies der Fall, besteht keine Notwendigkeit für ein Eingreifen durch Menschen, und Sie können den kleinen Vogel beruhigt sich selbst überlassen — alles ist so, wie es Mutter Natur vorgesehen hat! Denn obwohl die Jungvögel flügge werden, bleiben sie noch einige Zeit in der Nähe des Nestes, wo sie von den Altvögeln versorgt werden. Die Bettelrufe hören auf, wenn die Jungtiere vollends fliegen gelernt haben und sich selbst versorgen können.
Durchaus eingreifen sollten Sie in einer solchen Situation jedoch, wenn der kleine Vogel sich in unmittelbarer Gefahr befindet, weil er zum Beispiel zu nah an einer befahrenen Straße sitzt, oder weil er ungeschützt quasi auf dem Präsentierteller für freilaufende Katzen herumspaziert. In diesem Fall sollten Sie den kleinen Vogel ganz vorsichtig aufnehmen und ihn an einen sicheren Platz setzen, zum Beispiel in eine Hecke oder in eine Astgabel. Diese sollte unbedingt in Hörweite des Platzes liegen, wo Sie den Vogel aufgenommen haben, denn dort werden die Eltern nach seinen Rufen lauschen. Unsere Singvögel haben im Vergleich zu vielen Säugetierarten einen eher schwach ausgeprägten Geruchssinn, sodass sie ihr Junges nicht verstoßen werden, nachdem es kurz von einem Menschen angefasst wurde.
Wenn Sie jedoch ein kleines Vögelchen finden, das noch weitgehend nackt oder nur teilweise befiedert ist, besteht die Vermutung, dass es tatsächlich aus dem Nest gefallen ist. Ein solches Vogelkind nennt man „Nestling“. Es benötigt dringend Ihre Hilfe, denn außerhalb des Nestes wird es nicht von seinen Eltern gefüttert oder gewärmt. Außerdem ist es Fressfeinden schutzlos ausgeliefert. Der beste Ort für einen solchen Vogel ist das Nest der Eltern, dort hat er die größten Überlebenschancen. Da das Küken ja noch nicht fliegen kann, müsste sich das Nest ziemlich direkt senkrecht über dem am Boden liegenden Vögelchen befinden.
In diesem Fall suchen Sie bitte das Nest und legen das Küken, wenn dies irgendwie möglich ist, zurück in das Nest. Auch hier gilt: Der Menschengeruch wird die Eltern nicht abschrecken. Allerdings sind Sie dabei gesetzlich dazu verpflichtet, keine Störung der brütenden Vögel zu verursachen. Deshalb sollten Sie, wenn irgendwie möglich, darauf achten, dass die Altvögel dies nicht sehen. Wenn diese gerade beide unterwegs sind, um Futter für den Nachwuchs zu sammeln, haben sie ihr Nest vorübergehend nicht im Blick. Dann gibt es noch die Fälle, wo der kleine Vogel eventuell schon von einer Katze erwischt wurde, oder wo er sich bei seinem Ausflug auf andere Weise verletzt hat. Wenn Sie also einen sichtbar verletzten Vogel finden, bringen Sie ihn bitte direkt zum Tierarzt! Einige Tierärzte sind sogar bereit, Wildtiere in Not kostenlos zu behandeln. Nehmen Sie einen kleinen, verschließbaren Karton, in den Sie möglichst viele Luftlöcher stechen. Legen Sie ein glattes Küchenhandtuch, Küchenkrepp oder notfalls Toilettenpapier hinein, um zu verhindern, dass das Tier sich selbst beschmutzt. Setzen Sie den Vogel vorsichtig hinein und verschließen Sie den Karton gut — bitte denken Sie daran, dass auch ein völlig entkräftetes Tier in Todesangst seine letzten Kräfte für einen Fluchtversuch mobilisieren kann! Wenn Sie einen noch nicht befiederten, aus dem Nest gefallenen Vogel gefunden haben, das Nest aber nirgends entdecken können, versuchen Sie bitte nicht, das Tier bei sich zuhause aufzupäppeln.
Selbst in Expertenhand haben solche Tiere keine sehr große Überlebenschance, aber zumindest diese Chance sollte man ihnen geben. Bitte nehmen Sie das Küken mit und suchen Sie unverzüglich
Hilfe bei Vogelexperten. Geeignet sind zum Beispiel Wildtierauffangstationen, die meistens noch weitere Jungvögel in der Aufzucht haben, oder das nächste Tierheim.
Besitzer von Freigängerkatzen sollten sich insbesondere während der Brutzeit verantwortungsvoll zeigen und ihrer Katze zumindest ein Glöckchen an einen speziellen Katzenhalsband umhängen, wenn es nicht möglich sein sollte, den Stubentiger an den kritischen Tagen, wenn junge Vögel im Garten herumhüpfen, in der Wohnung zu behalten. Die Vögel werden es Ihnen mit ihrem Gesang danken!